Sprecher 1:
Alles muss raus, heißt unser heutiger Gottesdienst. Aber ist das wirklich so? Müssen wir uns tatsächlich radikal von Liebgewonnenem trennen, um Platz zu schaffen für Neues? Was ist denn so schlimm daran, sich zu wünschen, dass irgendwie jeden Tag ein bisschen Weihnachten wäre?
Bei Heinrich Böll geht?s doch schließlich auch! Sie erinnern sich sicherlich an Tante Milla aus ?Nicht nur zur Weihnachtszeit?, die schon immer eine Vorliebe für Weihnachten hatte und es schließlich schafft, dass sich die Familie jeden Abend um den Tannenbaum versammelt. Mit allen Kindern und Enkeln, mit dem Herrn Pfarrer, mit Spekulatius und Marzipan und mit einem rotwangigen Engel, der unablässig ?Frieden, Frieden, Frieden? flüstert.
Auslöser des Ganzen ist, dass Tante Milla, als es zu Lichtmess an der Zeit ist, den Baum abzuschmücken und die Weihnachtszeit offiziell für beendet zu erklären, herzzerreißend zu schreien beginnt und tagelang nicht zu beruhigen ist. Bis schließlich ein neuer Baum besorgt wird.
Sprecher 2:
?Der Gesichtsausdruck meiner Tante milderte sich schon im Schein der Kerzen, und als deren Wärme den richtigen Grad erreicht hatte, die Glasburschen wie irr zu hämmern anfingen, schließlich auch der Engel ?Frieden? flüsterte, ?Frieden?, ging ein wunderschönes Lächeln über ihr Gesicht, und kurz darauf stimmte die ganze Familie das Lied ?O Tannenbaum? an.?
Sprecher 1:
Das Problem an Tante Milla in dieser Geschichte ist jedoch ihre Hartnäckigkeit. Auch als die abendlichen Feiern längst eine professionelle Starre angenommen haben, als die erwachsenen Familienmitglieder durch Komparsen und die Enkelkinder durch Wachspuppen ersetzt sind, feiert sie weiterhin jeden Abend Weihnachten. Zwei Jahre lang.
Sprecher 2:
?Jetzt allerdings sind die Dinge in einer Weise ins Kraut geschossen, daß wir ratlos dastehen, nicht wissend, wie wir ihnen Einhalt gebieten sollen. Mein Vetter Johannes, ein Mensch, für den ich jederzeit meine Hand ins Feuer gelegt hätte, dieser erfolgreiche Rechtsanwalt, Lieblingssohn meines Onkel ? Johannes soll sich der kommunistischen Partei genähert haben, ein Gerücht, das zu glauben ich mich hartnäckig weigere. Meine Cousine Lucie, bisher eine normale Frau, soll sich nächtlicherweise in anrüchigen Lokalen, von ihrem hilflosen Gatten begleitet, Tänzen hingeben, für die ich kein anderes Beiwort als existentialistisch finden kann. Onkel Franz selbst, dieser herzensgute Mensch, soll geäußert haben, er sei lebensmüde, er, der in der gesamten Verwandtschaft als ein Muster an Vitalität galt und als ein Vorbild dessen, was man uns einen christlichen Kaufmann zu nennen gelehrt hat. Einzig meine Tante Milla, die als Urheberin all dieser Erscheinungen bezeichnet werden muß, erfreut sich bester Gesundheit, lächelt, ist wohl und heiter, wie sie es fast immer war.?
Sprecher 1:
Vielleicht ist es doch manchmal besser, sich von Liebgewordenem zu trennen und Platz zu schaffen für Neues.
Gebet von Thomas Morus um Humor
Schenke mir eine gute Verdauung, Herr, und auch etwas zum Verdauen.
Schenke mir Gesundheit des Leibes, mit dem nötigen Sinn dafür, ihn möglichst gut zu erhalten.
Schenke mir eine heilige Seele, Herr, die das im Auge behält, was gut und rein ist, damit sie im Anblick der Sünde nicht erschrecke, sondern das Mittel finde, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.
Schenke mir eine Seele, der die Langeweile fremd ist, die kein Murren kennt und kein Seufzen und Klagen, und lass nicht zu, dass ich mir all zu viel Sorgen mache um dieses sich breit machende Etwas, das sich "Ich" nennt.
Herr, schenke mir Sinn für Humor, gib mir die Gnade, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile.